Eine Frage der Schule Teil 2 – Kommando zurück
Es hätte so einfach sein können. So simpel, ohne Nachfragen, ohne Komplikationen, einfach so. Und dann kam doch der Anruf von der Schule. “Uns ist aufgefallen, dass ihr Sohn sehr unkonzentriert, unaufmerksam ist. Und die Feinmotorik ist auch noch nicht da, wo sie sein sollte.” Ich bin es so leid. Der kleine Moment von Normalität löst sich innerhalb eines einzigen Telefonanrufs im Nichts auf. Zerbricht in tausend kleine Stücke, von denen ich einfach nicht weiß, wie ich sie wieder zusammensetzen soll. Über eine Woche lang, war unser 5-Jähriger einer unter vielen. Nun fallen Wörter wie Rückstellung, Integrationsstatus, Ergotherapie. Ich bin einfach nur wütend. Auf das Schulsystem aber auch auf mich. Denn mein Sohn ist viel zu sehr wie seine Eltern. Einfach nicht einer unter vielen, sondern sein ganz eigener kleiner Mensch, der nicht so ganz ins System passt. Und dem hätte ich viel früher mehr Raum geben müssen.
Normal? Was ist schon normal?
Warum nur sehnen wir uns immer nach “Normalität”? Ich für meinen Teil war nie normal. Schon als Kind war ich anders. Zu draufgängerisch, nicht genug Mädchen, zu dickköpfig, stur. Auch als Jugendliche passte ich nirgendwo wirklich rein. Zu nerdig, als nerdig noch nicht einmal ein Ding war, einfach zu anders für all die Grüppchen, die sich in der Schule bildeten. Mein Anderssein, mein nicht der Norm entsprechen, brachte mich schlussendlich in den Beruf, den ich über alles liebe. Es brachte mich dazu, zu meinen nerdigen Hobbies und Vorlieben zu stehen und keinen Hehl mehr daraus zu machen, dass ich in keine Schublade passe. Das machte mich zu dem Menschen, der ich heute bin. Ein glücklicher Mensch, der innerlich zufrieden mit sich selbst ist.
Hallo täglich grüßendes Murmeltier
Warum in aller Herrgottsnamen schaffe ich es dann aber nicht, dieses Anderssein, nicht der Norm entsprechen bei meinem Sohn so zu nehmen wie es ist? Ein Geschenk. Ein Geschenk, dass er eben nicht so ist wie die Norm. Nicht so wie die Menschen, die einen immer in eine Schublade stecken wollen. Eine Möglichkeit, der zu sein, der er wirklich ist und nicht einfach einer von vielen. Ein farbloser Irgendwer, der irgendwas macht, das keinen Inhalt, keinen Mehrwert für ihn selber hat. Er soll bunt, wild, fröhlich und vor allem frei sein! Ich musste dafür kämpfen. Ich musste mich selber aus der grauen Tristesse der Normalität herauskämpfen. Warum will ich eben diese Normalität, die für mich so einfach nie passte, für ihn wollen, wenn er mir klar und deutlich in seinem Verhalten zeigt, dass er da genauso wenig hinpasst wie ich?
Jeder Kosmos ist anders
Unser kleiner Familienkosmos ist unsere Normalität. Wir vier sind für uns “normal”. Denn hier sind wir wir und werden für unser Tun nicht verurteilt, nicht bewertet. Außerhalb unseres Kosmos sieht diese Normalität aber schon wieder ganz anders aus. Jeder definiert seine Normalität anders. In der Schule muss aber irgendwie ein gemeinsamer Nenner, ein Durchschnittswert her. Und der unterscheidet sich einfach von unserem. Das nicht dem Durchschnitt entsprechen wird dann in Worte wie auffälliges Verhalten, Entwicklungsverzögerung oder erhöhter Förderbedarf gefasst. Dann kommt schnell noch der Integrationsstatus drauf und fertig ist die Schublade.
Her mit den neuen Lehrmethoden
Dabei bedarf es gar nicht einer speziellen Förderung, sondern nur einer breiter gefassten Lehrmethode. Unser Sohn ist nicht der größte Maler, kein geduldiger Bastler und auch kein Brettspielfanatiker. Er ist aber der ausdauerndste Kletterer, enthusiastischste Superhelden Rollenspieler und kreativste Singer-Song-Writer im gesamten Kiez. Sprich ein Schulsystem mit etwas anderen, abseits der Norm, außerhalb der Schublade denkenden Lehrmethoden würde unseren Sohn nicht als auffällig oder besonders förderungsbedürftig einstufen. Es würde ihm den Lehrstoff auf für ihn verständliche Art und Weise spielerisch beibringen. Aber da er in das jetzige System nicht hineinpasst, ist er auffällig.
Klettern statt still sitzen
Das einzige was wir wollen, ist dass unser Sohn so angenommen wird wie er ist. Ein toller, aufgeweckter, neugieriger Junge, der hier und da von all den genialen Dingen in dieser Welt abgelenkt wird, grundsätzlich aber alles um sich herum, all das Wissen aufsaugt wie ein Schwamm. Vielleicht nicht durch Vorlesen und Schreib- und Malaufgaben. Dafür aber durch einen Waldspaziergang mit Anfassen, Fühlen, Riechen, Hören und einfach Machen. Klettern! Das sollte getestet werden. Da wären dann alle anderen “unnormal” und er “normal”. Arghs.
Hör auf dein Bauchgefühl
Mich verwirren diese Gespräche immer wieder. Ich kann danach nicht mehr ganz zwischen normal und unnormal unterscheiden. Was ist richtig? Was ist falsch? An solchen Tagen höre ich bewusst intensiv auf mein Bauchgefühl. Heute schreit es mich an, weht mit all den roten Fahnen, die es finden und greifen kann. “Lass ihn doch auf seine ganz normale Einzugsschule gehen. Pfeif auf hippe Krea-Schule. Der packt das schon.” Seine ganz normale Einzugsschule. Manchmal schreit mich mein Bauchgefühl mit den logischsten Lösungen für meine Sorgen an. “Normale” Einzugsschule. Das wuppt der schon. Hier hat er den Raum er selbst zu sein ❤