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Mama nicht aufgeben

Manchmal kommen diese Sätze aus dem Nichts. Einfach so daher geschossen ohne große Vorwarnung. Und dann gerät das Gehirn ins Grübeln. Nicht aufgeben? Weiß mein Fünfjähriger tatsächlich, dass ich schon oft, viel zu oft als es mir lieb ist, an diesem Punkt war? „Nicht aufgeben Mama!“ Er zeigt auf das Spielbrett vor mir. Ach ja, da waren wir. Ich schaue ihn an und sage: „Nicht aufgeben. Absolut richtig. Nicht aufgeben.“ Mein Kopf spielt Pingpong. Nicht aufgeben, wie recht er hat.

Ich schaue auf unseren Wochenplan am Kühlschrank. Musiktherapie, Ergotherapie, Logopädie, Einzelfallhilfe, nochmal Ergotherapie, wieder Einzelfallhilfe, Kuchen backen für die Kita, Überweisungen und Rezepte abholen, Windeln nicht vergessen und den Milchbrei noch kaufen, damit kein Geschrei beim Abendessen aufkommt. Nicht aufgeben! Er hat so recht und doch ist es hart.

Einfach aufgeben. Die Einträge auf dem Wochenkalender einfach wegwischen. Wusch. Weg! Das Syndrom meiner Vierjährigen lässt sich nicht einfach wegwischen wie der Wochenplan. Ein angeborener Gendefekt. Weder ich noch der Papa noch der Bruder haben es. Eine Laune der Natur, ein Schreibfehler im Gencode. Dumm gelaufen.
Wir wissen seit über drei Jahren, das irgendwas nicht stimmt. Seit über zwei Jahren heißt es Jansen-de Vries Syndrom. Wie es aussieht, ist unsere Tochter derzeit die einzige in Deutschland bei der das Syndrom diagnostiziert wurde.

Nicht aufgeben. Weitermachen.

Sie wirkt so normal auf Außenstehende. Ein normales 4-jähriges Mädchen, das erst auf den zweiten Blick irgendwie anders ist. Ah ja, sie spricht nicht, sie ist laut, lauter als andere, sie hat einen komisch wackligen Gang, oh sie schubst, sie haut, sie schreit, sie ist irgendwie anders. Sie trägt Windeln, sitzt immer noch im Kinderwagen, bekommt Tobsuchtsanfälle, wenn man es wagt ihr ein Brötchen anzubieten. Ist die Ecke eines Teppichs umgeschlagen, wird alles wieder fein säuberlich und ordentlich zurückgeklappt und zurechtgezurrt bis es wieder akkurat gerade ist. Sie lacht das größte Kinderlachen aus dem Nichts, über Nichts, einfach so. Ansteckend, zuckersüß und leicht verrückt. Worüber sie wohl so herzlich lacht. Sagen kann sie es uns nicht.

“Mama nicht aufgeben!” sagt mein Sohn, tippt mich an und zeigt erneut auf das Spielbrett. “Nein, ich gebe nicht auf!” lächle ich ihn an.

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