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Die Lucy Welt

“Ich habe ein Kind mit Behinderungen. Ein Kind mit Special Needs.” Puh! Gesagt, getan, neuer Chef weiß nun Bescheid. Und dabei wollte ich eigentlich den Satz “Ich habe ein behindertes Kind.” sagen. Doch der will so gar nicht über meine Lippen gehen. Es klingt negativ. Es klingt nach Rollstuhl. Nach schwertstbehindert. Lucy ist anders. Sie ist weder schwerstbehindert, noch im Rollstuhl noch auf den ersten Blick überhaupt irgendwie unnormal. Wenn sie dann aber anstatt freundlich zu winken und Hallo zu sagen, das Kind vor ihr mit voller Wucht zu Boden schubst, meint man noch sie hätte vielleicht Aggressionsprobleme. Beim zweiten Schubsen ernten wir, die Eltern, garstige Blicke und beim dritten Schubsen, ist es dann doch Zeit ein paar Dinge über Lucy zu erklären.

Lucy hat das Jansen-de Vries Syndrom. Meinem neuem Chef, genauso wie allen anderen, sagt das Syndrom nichts. Muss es auch nicht. Schließlich gibt es das Syndrom per Definition erst seit 2017. Daher muss der Begriff “Behinderung” irgendwie herhalten. Passen tut der aber nicht wirklich. Denn anstatt auf den ersten Blick echte größere Einschränkungen zu haben, liegen die Behinderungen unserer Tochter im Detail. Es ist mehr eine ganze Bandbreite kognitiver als auch einzelner motorischer Dinge, die Lucy von anderen Kindern unterscheidet. Meinem Chef wollte ich diesen Unterschied erklären.

Für uns gehören Therapien zum Alltag. Physio-, Ergo-, Sprach-, Verhaltens-, Musik-, Reit-, Schwimmtherapie – irgendwas ist immer. Nicht immer alles zur selben Zeit, aber es füllt unseren Familienkalender mit etlichen Terminen. Während andere Familien ihre Nachmittagsaktivitäten wie Fußball, Musikschule, Judo oder Tanzen organisieren, jonglieren wir Therapietermine hin und her. Und da diese gerne mal auch vormittags sind, muss auch mein Chef mitmachen. Klar kann ich ihm den Schrieb vom SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) vor die Nase halten, dass er doch bitte ein Nachsehen mit mir und meiner Tochter haben soll. Lieber ist es mir jedoch, wenn er auch ohne offizielles Schreiben versteht, wen er da in seinem Team hat.

Es ist das erste Mal, dass ich den Begriff “Kind mit Behinderungen” laut ausspreche. Es ist fies, es macht mich traurig, es gibt der Diagnose vom letzten Jahr etwas Endgültiges. Eine Schublade, in die ich meine Tochter nie hineinstecken wollte. Wir nennen es Behinderungen. Für Lucy ist es aber ihre ganz eigene bunte Welt, in der vieles garantiert um einiges lustiger ist, als in unserer.

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