
Kinder-Reha Tag 29 – Frau Müller
Jetzt kommen mir doch noch die Tränen. Noch eineinhalb Tage in der EUBIOS Kinder-Rehaklinik in Thalheim bis wir wieder nach Hause fahren. Eineinhalb Tage und mir kommen die Tränen. Freudentränen. Tränen vor Glück. Tränen der Dankbarkeit und Tränen über Fortschritte, die ich mir nicht hätte träumen lassen können. Mini Fortschritte, die im Lucy Kosmos die Welt bedeuten. Die wahrscheinlich kein anderer versteht oder gar sieht, der nicht tagtäglich mit ihr zusammen ist, Therapeut oder Erzieher ist. Sie spricht einfach Wörter nach. Aus dem Nichts! Ohne Aufforderung. Fast schon dreist nachgeplappert. Nuss. Nuss! Einfach so, weil wir in einem Nebensatz das Wort Nuss gesagt haben. So simpel und doch so unerreichbar. Bis jetzt ❤
“Haben sie sonst noch irgendwelche Fragen?”
Ich sitze im Feedbackgespräch von Frau Müller. Lucys Logopädin in der EUBIOS Kinder-Rehaklinik in Thalheim. Einen ganzen Monat lang hatte unsere 4-Jährige viermal pro Woche Einzel-Logopädie bei Frau Müller. Zusätzlich zu dem Sprachprogramm, das eh die ganze Woche über mit ihr und den anderen Kindern durchlaufen wird. Vier Wochen in denen Frau Müller zusammen mit einer hochmotivierten Lucy kleine Wunder vollbracht hat.

Tiere und Obst in Dauerschleife
Fühlkisten mit Kichererbsen, Steinen, Reis und immer wieder Wasserperlen wurden in den letzten Wochen auf Schleich-Tiere und Obst durchwühlt. Die Tiere und das Obst wiederum Karten zugeordnet und dann wieder von vorne angefangen. Rinse and Repeat auf Dauerschleife. Dazu immer wieder GuK-Gebärden und klare, kurze Sätze zu all dem was da gerade gemacht und gefunden wurde.
Nuss!
Bei der letzten Therapieeinheit darf ich dabei sein. Lucy sieht die Kichererbsenbox und ruft freudestrahlend “Auf!”. Frau Müller und ich lachen, Lucy wühlt sich durch die Fühlbox. “Mau!” hören wir sie sagen, während sie die Katze aus der Box zieht und sie der passenden Karte vor ihr zuordnet. “Muh” und “Hund” folgen. Sie plappert weiter und schon jetzt bin ich den Tränen nahe. Am Ende der Einheit darf unsere Tochter endlich ihren wohlverdienten Schatz aus der Schatzkiste raussuchen. Anstatt sich aber einen Schatz aus der Kiste herauszusuchen, findet sie eine Nuss auf Frau Müllers Tisch. “Oh Lucy, diese Nuss würde ich gerne behalten. Die habe ich geschenkt bekommen. Such dir doch etwas aus der Schatzkiste aus.” sagt Frau Müller. “Nuss.” schallt es durch den Raum. Lucy lächelt und hält die Nuss hoch. “Nuss!”

Kleine Wunder. Aus dem Nichts.
Ich bringe Lucy wieder nach oben in ihre Gruppe und kehre zurück zu Frau Müller. Wir gehen die wichtigsten Sachen durch, sprechen über das, was wir zu Hause in Angriff nehmen sollten und über all das, was Lucy in den letzten Wochen so gemacht hat. Alles ist geklärt. “Haben sie sonst noch irgendwelche Fragen?” Ich schaue Frau Müller an, möchte mich für alles bedanken, bekomme aber für all das was ich da gerade gesehen habe partout nicht die richtigen Worte raus. Ich merke wie mir beim Versuch irgendwelche passenden Worte zu finden, die erste Träne runterkullert. “Danke!” stottere ich so gerade eben heraus. “Sie hat da gerade wirklich ‘Nuss’ gesagt oder? Einfach so? Ohne zehnfache Aufforderung oder Nachhaken? Hatte sie das vorher schon einmal gesagt”, frage ich. “Nein, das war tatsächlich ganz neu”, erwidert Frau Müller. Ich sehe auch bei ihr erste Tränen. Tränen der puren Freude. Tränen darüber, dass Lucy das einfach so tut. Wir beide wissen, dass das die kleinen Wunder sind, auf die wir zwar irgendwie immer hoffen, aber von denen wir genau wissen, wie unendlich schwierig sie für Lucy zu erreichen, zu vollbringen sind.
Perfekte Konstellation
Dieser Moment wird mir in Erinnerung bleiben. Dieser Moment in dem Frau Müller und ich uns gegenüber sitzen, uns beiden Tränen herunterkullern. Der Moment in dem wir beide so unendlich stolz auf Lucys kleine, hart erarbeitete kleine Wunder sind. Und der Moment in dem wir beide wussten, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das wir in diesen vier Wochen glücklicherweise genau die richtige Konstellation erwischt haben, in denen Frau Müllers Wissen und Erfahrung mit Lucys derzeitiger Motivation Sprache zu entdecken, perfekt gepasst hat.
Danke, Frau Müller!
