Kinder-Reha Tag 15 – Bergfest
Die Hälfte ist rum. Von dem einen Monat, den wir insgesamt in der EUBIOS Kinder-Rehaklinik in Thalheim verbringen, ist nun die Hälfte geschafft. Es wird offiziell gefeiert. Mit Eis zur Vesper, Zauberer und Lagerfeuer inklusive Stockbrot. Während sich die Kinder über die Partyangebote freuen, feiere ich ein wenig mich selbst. Und all die anderen Muttis, die hier den Wahnsinn bisher so gut durchgestanden und durchgezogen haben. Von Beinbruch durch Dreiradunfall über morgendliches Dauergeschrei bei der Kitaabgabe bis hin zu täglichem Terminstress und dem ewigen Rauf- und Runtergerenne der Thalheimer Hügel, haben wir uns alle wacker geschlagen. Obwohl sich alle Mitarbeiter unglaublich toll um uns kümmern, ist und bleibt es für mich ein anstrengender Ausnahmezustand über den ich froh bin, wenn er in 15 Tagen wieder vorbei ist.
Reha ist kein Zuckerschlecken
Es ist anstrengend. Es ist schweißtreibend. Nervenaufreibend. “Da wirst du mal Zeit für dich finden” und “Genieß die Auszeit” waren die zwei häufigsten Sprüche von Verwandten, Freunden, Nachbarn und Arbeitskollegen, bevor wir uns gen Erzgebirge zur Kinder-Reha aufgemacht hatten. Am Ende war ich fast schon selbst von den Sprüchen überzeugt und packte optimistisch Fitnessstudiotasche und Buch ein. Beides habe ich bis heute nicht angerührt. Beim Buch weiß ich noch nicht einmal, wo das überhaupt gelandet ist.
Die Wochentage sind straff organisiert und durchgeplant. Für Kinder wie für Eltern. Der Morgen beginnt meist um 05:30 Uhr, der Abend endet entsprechend früh. Ein Teufelskreis für das therapiefreie Wochenende. Rein theoretisch könnte man hier ausschlafen, aber der frühe Vogel fängt den Wurm, denken sich da urplötzlich die Kinder. Sind die Kinder in ihrer Kitagruppe, gibt es, auch hier rein theoretisch, drei Stunden Zeit für Mutti. Allerdings liegen in diesem “freien” Block Feedbackgespräche, Seminare, Einzeltherapien, zu denen man die Kinder hin- und herbringen muss und eventuell der ein oder andere Wäscheberg, der sich nicht von allein reinigt. Nach der Mittagsruhe gibt es noch einmal eine Stunde Gruppentherapie für die Kinder. Da tut sich noch ein freies Zeitfenster von etwa 50 Minuten auf.
Hart erarbeitete Fortschritte
Jeden Wochentag haben Therapiekinder einen vollen Plan mit Therapien. Einzel- und Gruppentherapien. Logopädie, Ergo-, Musik-, Physiotherapie, Motopädie. Auch tiergestützte Therapie mit Pferden ist einmal wöchentlich dabei. Getoppt von Sauna und Kneipp als auch Lehrküche und mehr. Es wird enorm viel geboten. Das was die Kinder erleben, ist absolut einzigartig, unendlich spannend, Abenteuer pur, aber am Ende auch enorm kräftezehrend. Meine Tochter fällt um 18 Uhr einfach um und schläft tief und fest ihre zwölf Stunden am Stück. Selbst mein Sohn, der sein Leben lang ein schlechter Schläfer war, schläft hier wie ein Stein. Und ich? Ich bin um spätestens 21 Uhr im Tiefschlaf.
Rebell trifft auf Gebärden-Plappermaul mit noch mehr Lauten und dem ersten englischen Wort
Ob all das was bringt? Ja! Noch mögen die Fortschritte für Außenstehende nicht sichtbar sein. Für mich bedeuten sie schon jetzt die Welt! Unser Sohn hat seine Autonomie, seine Freiheit entdeckt. Ein noch ausgeprägteres Selbstbewusstsein ist die Folge. Noch mehr Mut, noch mehr Konter, noch mehr Grenzen austesten, noch mehr Rebell. Auch wenn es nicht einfach ist, macht es mich stolz und zeigt mir, dass er die Kraft besitzt sich auch in den folgenden Jahren, sich beim Start der Schule nächstes Jahr, durchzusetzen und zu behaupten. Er spricht deutlicher, er fragt mehr, er ist interessierter an nahezu Allem.
Unsere Tochter mit Jansen-de Vries Syndrom bekommt die volle Therapieladung. Nahezu jeden Tag Einzel-Logo, Einzel-Ergo, Einzel-Musiktherapie. Sie lautiert wie ein Weltmeister, spricht ihr erstes englisches Wort, nutzt so viele Gebärden wie noch nie zuvor und plappert, in ihrem eigenen Laut-Gebärde-Mini-Wortschatz Kauderwelsch, wie ein Rohrspatz. Für sie wird die Kinder-Reha in Thalheim einen riesen Effekt haben. Das sehe ich schon jetzt nach den ersten 15 Tagen. Das Erlernte wird sich wahrscheinlich erst vollends in den nächsten Wochen und Monaten in Berlin zeigen. Der Grundstein dafür wird aber hier und jetzt dafür gelegt.
Ein unvergessliches Abenteuer
Und das ist der Grund, warum ich hier durchhalten werde. Es mag nicht einfach sein, aber der Impact den diese Reha auf die Kinder haben wird, ist enorm. Die Reha wird ihnen nicht nur bei ihren derzeitigen Baustellen wie Sprache, Wahrnehmung, Konzentration, Motorik helfen, es wird auch ein unvergessliches Erlebnis sein, das sie als kostbare Erinnerung ihr Leben lang bei sich tragen werden. Es wird ihnen mehr Selbstbewusstsein, Mut und Durchhaltevermögen geben. Eine verrücktes Abenteuer, dass wir zu dritt, zusammen, einen ganzen Monat lang durchleben durften.